Veranstaltungen

Auf schwierigem Terrain: Arbeits- und Mietkämpfe in Ostdeutschland

27.09.2024, Pöge-Haus Leipzig

Am 27.09.2024 lud das an der Uni Jena angesiedelte Forschungsprojekt SONAR unter der Überschrift „Auf schwierigem Terrain – Arbeits- und Mietkämpfe in Ostdeutschland“ zu einem Workshop und einem öffentlichen Podiumsgespräch nach Leipzig ein. SONAR (Solidarität organisieren in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz) untersucht soziale Bewegungen im nachbarschaftlichen und gewerkschaftlichen Bereich, die mit Methoden des Organizings versuchen, gelebte Solidarität zu organisieren und dabei Trennungen entlang von Diskriminierungsmerkmalen zwischen Menschen zu überwinden. SONAR sieht sich dabei an der Schnittstelle von akademischer Forschung und Aktivismus. Entsprechend war das Ziel der Veranstaltung, einen Austausch zwischen den Bereichen zu ermöglichen, aber vor allem Aktivist:innen einen Raum für Austausch und Diskussion zu bieten. So standen in der zweiteiligen Veranstaltung die Erfahrungen von Aktivist:innen in Organizing-Projekten in Ostdeutschland im Vordergrund.

Der Workshop wurde eröffnet mit einem kurzen Einblick in die gegenwärtigen soziologischen Debatten über die weiterhin und – so die aufgeworfene These – dauerhaft vorhandene Trennlinie zwischen west- und ostdeutschen Bundesländern und den teils unterschiedlichen Lebensrealitäten. Diese Trennlinie lässt sich soziologisch anhand von Strukturmerkmalen, wie Einkommen und Vermögen nachzeichnen , aber auch in der Demografie und im eigenen Zugehörigkeitsgefühl existieren weiterhin Unterschiede. Insbesondere unter jüngeren Menschen in Ostdeutschland gibt es eine große Identifikation als ‚ostdeutsch‘. Und obwohl eine erstarkende Rechte ein Problem in ganz Deutschland und Europa ist, zeigt sich diese Entwicklung in manchen Orten in Ostdeutschland noch einmal verstärkt. Anschließend zu diesem Input wurden in Kleingruppen die unterschiedlichen Herausforderungen der Organizing-Praxis der Workshopteilnehmenden in Ostdeutschland besprochen.

Herausforderungen in der Organizing-Praxis

Der gesamtgesellschaftliche Rechtsruck zeigt sich auch in Betrieben und Wohnvierteln. In der direkten Ansprache von Beschäftigten und Mieter:innen findet in der Organizing-Praxis die Auseinandersetzung mit alltagsrassistischen Äußerungen und neoliberalen Narrativen statt. Die Organizer:innen bewegen sich in verschiedenen Lebenswelten, etwa von Alteingesessenen und Migrant:innen. Die teilweise schwach ausgebildete Zivilgesellschaft weckt Sorgen vor rechter Übernahme der Organizing-Projekte. Auf (kommunal-)politischer Ebene drückt sich der Rechtsruck durch nun teilweise rechte Stadtratsmehrheiten aus, die Förderungen für politische Arbeit oder soziokulturelle Projekte kürzen oder einstellen und ablehnend gegenüber selbstorganisierten Strukturen agieren. Zudem sind die lokalen linken Strukturen oft wenig ausdifferenziert und Aktivist:innen oft primär mit antifaschistischer Arbeit beschäftigt, sodass beispielsweise prekäre Wohn- und Arbeitsbedingungen nicht im Fokus von politischem Engagement stehen. Dadurch unterscheiden sich die politischen Debatten und Arbeiten vor Ort (in Ostdeutschland) teils stark von innerlinken Debatten in westdeutschen Städten oder denen auf Bundesebene. Eine generalisierte Annahme seitens aktivistisch-tätiger Menschen, dass bei Haustürgesprächen überwiegend AfD-Wähler:innen anzutreffen sind, lässt Vorbehalte und Sorgen vor Ansprachen entstehen, die das eigene Engagement hemmen. Allerdings ist nicht letztgültig zu beantworten, inwiefern diese und weitere Herausforderungen spezifisch ostdeutsch sind.

Lichtblicke und Umgangsweisen

Bezogen auf den ostdeutschen Kontext berichten Aktivist:innen allerdings auch von spezifischen Potenzialen. So kann die DDR-Erfahrung von Mieter:innen und Beschäftigten eine Ressource darstellen, insofern sie eine grundsätzlich kritische Einstellung zu Großkonzernen und Immobilienunternehmen erwarten lässt. Alternative Organisationsformen des Zusammenlebens und -wirtschaftens wie Genossenschaften sind in der Erfahrungswelt gerade älterer Menschen kein Abstraktum. Zudem stellen Solidarität, Kollegialität und Nachbarschaftlichkeit bekannte und positiv besetzte Werte dar, die ebenfalls für die Aktivierung adressiert werden können.

In einer zweiten Kleingruppenphase wurden Lösungsstrategien für die zusammengetragenen Probleme gesammelt. Eine mögliche Strategie gegen Rassismus in der Organisierung ist zum Beispiel das gezielte Gestalten der Kerngruppe durch klar antirassistisch-positionierte Aktive und von Rassismus betroffenen Menschen. Dieses Bemühen um eine bewusste Zusammensetzung einer Kerngruppe steht dabei im Spannungsfeld mit der Offenheit einer Gruppe für unterschiedliche Lebenserfahrungen und -realitäten. Einigkeit herrscht darin, Menschen mit einem geschlossenen rechten Weltbild auszuschließen. Dies kann jedoch keinesfalls der einzige Umgang mit alltagsrassistischen Einstellungen und Äußerungen sein. Um diese thematisieren und problematisieren zu können, müssen weitere Wege gefunden werden. In der Erfahrung von Aktiven ist dies immer dann gut möglich, wenn stabile zwischenmenschliche Beziehungen aufgebaut wurden. Zudem ist wichtig, dass Lern- und Austauschräume geschaffen werden, innerhalb derer Umgangsweisen erlernt und besprochen werden können. Manche Projekte organisieren dazu gezielt Antirassismustrainings.

Podiumsdiskussion

Die Podiumsdiskussion fand mit der Themensetzung großen Anklang – der Veranstaltungsraum im Pöge-Haus war gut gefüllt. Teilnehmer:innen auf dem Podium waren Aktive aus den Initiativen Lobeda Solidarisch aus Jena, aus der Kampagne Wir fahren zusammen aus Weimar und Magdeburg sowie Community Organizer aus Cottbus. Die Podiumsteilnehmer:innen berichteten von ihrer Arbeit und den besonderen Herausforderungen und Chancen.

Herausforderung und Chance gleichermaßen ist etwa die schwache gewerkschaftliche Organisierung in den Betrieben des öffentlichen Nahverkehrs in Weimar und Magdeburg, in denen die Kampagne Wir fahren zusammen tätig ist. Ein geringer Organisationsgrad bedeutet wenig hauptamtliche Kapazität aus der Gewerkschaft und insgesamt prekäre gewerkschaftliche Strukturen. Was erst einmal eine Herausforderung für das Organizing-Projekt ist, hat sich auch als Chance herausgestellt, da es, anders als in vielen westdeutschen Städten, keine ‚verkrusteten‘ Strukturen gab, die überwunden werden mussten. Eine unaufgelöste Herausforderung blieb, wie mit Aktiven umzugehen sei, die etwa bei den so genannten Montagsdemos mitlaufen oder offen mit der AfD sympathisieren.

Die Stadtteilgewerkschaft Lobeda Solidarisch (LOS) in Jena berichtete, dass es sich für sie positiv herausgestellt hat, den Organisationsaufbau langsam anzugehen und auf stabile Beziehungen zu setzen. Zudem ließen sich über ein breites Spektrum von Beratungsangeboten mehr Nachbar:innen erreichen und bei der Beratung um Aufenthaltsfragen Migrant:innen gezielter organisieren.

Aus Cottbus wurde mehrere Geschichten und Anekdoten darüber geteilt, was möglich sein kann, wenn man Menschen mit den Methoden des Organizings zusammenbringt. Besonders beindruckend ist die Geschichte von einem 2016 organisierten Fußballturnier. Die Jugendlichen, die dabei zusammenkamen, waren zum Teil rassistisch bis nationalistisch eingestellt und zum Teil Geflüchtete. Was am Anfang zu sehr problematischen Situationen geführt hat („Team Ausländer gegen Team Deutschland, wie das Turnier teilweise kommentiert wurde) konnte durch kontinuierliche Beziehungsarbeit aufgelöst werden. Rassistische Haltungen konnten in freundschaftlichen Begegnungen nachhaltig abgebaut werden. Neben dem Rassismus, dem das Projekt innerhalb der eigenen Organisierung begegnet, ist auch sonstige rechte Gewalt im Stadtteil eine konkrete Bedrohung. Der wirksamste Schutz dagegen ist die soziale Verankerung vor Ort.

Anti-rassistisches Organizing beschäftigt auch die Initiative Wir fahren zusammen. Wie so oft gibt es kein klares Rezept und oft scheitern Bestrebungen nach Organisierung. Wirksam jedoch ist, für Rassismusbetroffene einen Austauschraum zu schaffen und Ansprachesituationen – insbesondere die Auseinandersetzung mit alltagsrassistischen Einstellungen und Aussagen – zu üben und zu kontern.

Ausblick

Die Herausforderungen und Bedingungen für politisch-aktive Menschen werden nicht weniger: Die neoliberale (Stadt-)Politik, das Erstarken des autoritären Populismus und der Alltag mit seinen Herausforderungen stellen Widrigkeiten dar, mit denen die meisten Menschen umgehen müssen. Politischer Aktivismus findet somit erschwerte Bedingungen vor. Dennoch zeigen die Berichte der Teilnehmer:innen, dass Organizing ein wirksamer Ansatz sein kann, um alltagsrassistische Äußerungen und Betrachtungsweisen auf Grundlage der gemeinsamen gelebten (politischen) Praxis zu problematisieren und zu entkräften. Ein solidarisches Miteinander unterschiedlicher Menschen kann zu neuen praktischen Erfahrungen – und somit zum Umdenken – führen.