Projektbeschreibung

In Zeiten nicht enden wollender Krisen wird vielfach der Ruf nach mehr Solidarität laut. Zumeist verbleibt dieser Ruf auf einer symbolischen Ebene, der die getrennten Menschen unserer Gesellschaft wieder zusammenführen soll. Das Projekt SONAR sucht hingegen in der Praxis der Menschen nach dem Potenzial für gelebte Solidarität, die Trennungen überwindet. Ein Ansatz sozialer Bewegungen, der diese Praxis hervorbringt, ist das sogenannte Organizing in den Feldern der gewerkschaftlichen und nachbarschaftlichen (v.a. wohnungspolitischen) Konfliktaustragung. Hier kommen unter einem gemeinsamen Ziel unterschiedliche Mitglieder der Gesellschaft zusammen. Sie lernen sich kennen, bringen sich mit ihren eigenen Fähigkeiten ein und teilen Erfolge und Niederlagen.

Diese Gemeinsamkeit trifft aber auf die (scheinbar) individuellen Deutungsmuster, mit denen sich die Menschen ihre Welt erklären. Alltagsrassismus dient dabei oftmals als Erklärung für den Zustand der Gesellschaft und ihren Versagungen gegenüber dem Individuum. Ohnmachtserfahrungen und Ungerechtigkeitsempfindungen begünstigen die Rassifizierung gesellschaftlicher Zusammenhänge und schaffen somit erneut Raum für Rassismus und Rechtspopulismus.

Um dem entgegenzutreten, bedarf es der Erweiterung der gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit und der Erfahrung kollektiver Organisierung. Dabei hat Organizing nicht primär ein antirassistisches Ziel vor Augen. Vielmehr versuchen die Organizer:innen in ihren jeweiligen konkreten Zielstellungen, die Widersprüchlichkeit der alltäglichen Deutungsmuster – so auch des Alltagsrassismus – aufzuzeigen. Doch selbst wenn der Rassismus als gesamt-gesellschaftliches Problem anerkannt ist, kann man ihn nicht einfach durch richtige Argumente aufklären oder durch engagierte Pädagogik „weg-erziehen“. Antirassismus muss daher neben der Stärkung der Betroffenen rassistischer Diskriminierung an den sozialen Kontexten des Rassismus ansetzen. So können auch die Blockaden für die Individuen selbst gemeinsam kritisierbar werden. Die organisierte Basis zu erweitern und Trennungen zu überwinden sind Grundlagen des Organizings.

Hieran anschließend untersucht das Projekt SONAR Möglichkeiten und Grenzen des gewerkschaftlichen und nachbarschaftlichen Organizings bei der Bekämpfung von Rassismus und der Stärkung von Solidarität. Mithilfe von Methoden der rekonstruktiven Sozialforschung (qualitative Interviews, Ethnografie, aktivistische Forschung) wird erforscht, wie Teile der organisierten Beschäftigten und Mieter*innen ihre prekäre Arbeits- und/oder Wohnsituation unter Rückgriff auf Alltagsrassismus und rechten Populismus deuten. Im Gegenzug wird der These nachgegangen, dass die in Arbeits- oder Mietkämpfen erlebte Solidarität und kollektive Wirksamkeit rechte Denk- und Handlungsformen schwächen oder sogar auflösen können.

Mit Arbeitswelt und Nachbarschaft werden zwei soziale Felder in den Blick genommen und bezüglich ihrer Beziehungen betrachtet, in denen zentrale gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Teilhabe, Demokratie und Zusammenhalt stattfinden. Nachdem sie lange als verschiedene Sphären der Produktion und Reproduktion verstanden wurden, ist ihre Trennung aktuell mehr denn je zu hinterfragen.
Neben diesem sozialtheoretischen Erkenntnisinteresse zielt das Projekt auf anwendbare Ergebnisse ab, etwa auf Bildungsmaterialien für den Erfahrungstransfer zwischen beiden Praxisfeldern. Die geplante Forschung arbeitet damit die zweifellos umstrittene, aber gesellschaftspolitisch zentrale Rolle von gewerkschaftlicher und wohnungspolitischer Interessenvertretung bei der Stärkung der Demokratie heraus.

Förderung des Projekts durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Laufzeit des Projektes:   01.01.2023–31.12.2025